Wir gehören doch zusammen

Scheibenhardt und Scheibenhard –die wechselvolle Geschichte zweier Dörfer, die einst eines waren

Von unserem Mitarbeiter Simon Ribnitzky

wir gehoeren doch zusammen 1 klScheibenhardt. Bunte Blumen schmücken die Brücke über die Lauter. Nur wenige Schritte trennen Scheibenhardt und Scheibenhard, Pfalz und Elsass, Deutschland und Frankreich. Edwin Diesel steht am Geländer und blickt auf den Fluss. „Wenn wir etwas zusammen angehen, dann funktioniert das auch“, sagt der pensionierte Soldat, der seit 17 Jahren Bürgermeister auf deutscher Seite ist. Trotz des jährlichen Brückenfests –mit einer Festmeile über die Lauter und quer durch beide Dörfer – läuft das Leben im Alltag häufig aneinander vorbei. „Das Verhältnis ist gut – aber es könnte intensiver sein“, gibt der 58-Jährige zu.

Auf den ersten Blick gibt es viele Beispiele für ein gutes Zusammenleben. Ein Neujahrsempfang findet abwechselnd auf beiden Seiten statt. An Sankt Martin ziehen die Kinder gemeinsam durch die Straßen. Die deutsche Feuerwehr ist meist zuerst bei einem Brand in Frankreich, auch wenn sie offiziell gar nicht zuständig ist. Und die Abwässer beider Gemeinden fließen in ein gemeinsames Klärwerk auf französischer Seite. Diesel sagt deshalb: „Wir leben Europa.“ Ganz zufrieden klingt er nicht. Francis Joerger ist noch länger Bürgermeister als sein deutsches Gegenüber, fast 30 Jahre sind es inzwischen. Der 68-Jährige blickt über seine schwarze Hornbrille mit den schmalen Gläsern und seufzt. „Nach all den Jahren, seit die Grenze weg ist, haben wir immer noch zwei Schulen, zwei Kirchen, vier Fußballplätze –jeder für sich.“ Einmal im Jahr gebe es einen Austausch zwischen den Schulen. „Wir sollten das jeden Monat machen“, sagt Joerger. Doch große gemeinsame Projekte sind schwierig. Vor ein paar Jahren sollte länderübergreifend eine Jugendherberge entstehen. „Wir hatten einen Investor und wir hatten einen Betreiber, alle waren begeistert“, erzählt Diesel. Doch um die Finanzierung sicherzustellen, brauchten sie Zuschüsse –von beiden Ländern. Das Projekt scheiterte am Geld. „Die bürokratischen Hürden, die sind das Schlimmste“, sagt Diesel. Und: „Irgendwann verliert man die Lust.“ Manchmal prallen auch einfach Vorstellungen aufeinander. Ein gemeinsamer Kindergarten war geplant. Die Deutschen wollten ihn sofort, waren unter Zeitdruck, weil die eigene Kita zu klein war. Wenn Joerger daran denkt, muss er den Kopf schütteln. Auch er wollte den gemeinsamen Kindergarten. Aber er sagt: „Man muss sich Zeit lassen mit so einem Projekt, die Leute mitnehmen.“ Den Deutschen ging es nicht schnell genug, sie bauten allein. Vielleicht spricht Diesel deshalb von einer anderen Mentalität, die drüben herrsche. Die Elsässer hätten von vielem eine andere Auffassung. „Sie leben und s denken anders als die Pfälzer.“ Schnell schiebt er hinterher: „Das ist nicht negativ gemeint.“ Lange gehörten die zwei Gemeinden formal zusammen. 1815, nach dem Wiener Kongress, wurde die Lauter zum Grenzfluss zwischen Deutschland und Frankreich –und riss den Ort auseinander. Nach dem deutsch-französischen Krieg 1871 wurde das elsässische Scheibenhard wieder deutsch, nach dem Ersten Weltkrieg französisch. Eine wechselvolle Geschichte, die zusammenschweißte. Schon ehe Anfang der 1990er-Jahre die Schlagbäume weggeräumt wurden, herrschte reger Austausch. Diesel erinnert sich an seine Kindheit. „Da hatten wir einen gemeinsamen Pfarrer, der hat uns Jugendliche zusammengebracht.“ Heute sei das anders. „Gemeinsame Jugend-Aktionen sind schwierig.“ Probleme macht die Sprache. Immer weniger Kinder wachsen zweisprachig auf. „Irgendwann wird es so sein, dass wir direkt nebeneinander wohnen und uns nicht mehr verstehen“, prophezeit Diesel. Joerger sagt: „Eine Tragödie.“ Nach der Grenzöffnung zogen viele Deutsche auf die andere Seite. Der Baugrund war billig, zudem lockten Steuervorteile. „Aber ihre Kinder, die schicken sie weiter auf der deutschen Seite zur Schule“, schimpft Diesel. Man lebt oft nebeneinander, nicht miteinander. „Der Alltag ist ok“, sagt Joerger. Es bleibt noch viel zu tun. Er nennt Scheibenhard als Mini-Labor. Hier könne man im Kleinen zeigen, dass Europa funktioniere. „Aber selbst bei uns bekommen die Europa-Gegner gute Wahlergebnisse.“ Man müsse offensiv argumentieren und zeigen, was Europa gebracht hat: Frieden, Freiheit, offene Grenzen. Auf deutscher Seite liegt ein kleines Café. Die Betreiber sind Franzosen. „Viele haben Familie auf der anderen Seite“, sagt  Verkäuferin Cornelia Coupaud. Sie selbst ist Deutsche, mit einem Franzosen verheiratet, lebt im Elsass. Die französische Jugend feiere gern in deutschen Diskotheken, erzählt sie. „Irgendwie gehören wir doch zusammen.“

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Ouelle: Badische Neueste Nachrichten | Karlsruhe | AUS DERREGION | 21.09.2016